Vorab: Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.

„Erstes Fachbuch mit Zielgruppenorientierung.“ Barbara Müller-Heiden, in: Archivpflege in Westfalen-Lippe 61, 2004

Hier eine schon längst überfällige Buchrezension…

Die „Praktische Archivkunde“ herausgegeben von Norbert Reimann, ist wohl die perfekte Ergänzung im Bereich der Standardwerke bzw. Lehrbücher für das ABID-Wesen im deutschsprachigen Raum. Man vergleiche hier das bibliothekarische Pendant, den sogenannten „Hacker“ bzw. zukünftig wohl „Gantert“, gemeint ist hier „Bibliothekarisches Grundwissen“ von Hacker/Gantert (1972/2016).

Wie im Untertitel genannt, handelt es sich um einen Leitfaden, eine Überblicksdarstellung mit Beiträgen von ArchivreferentInnen des
Westfälischen Archivamtes in Münster (DE), speziell ausgerichtet für Auszubildende im Lehrberuf der Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (FaMI) – Fachrichtung Archiv in Deutschland. Die meisten Inhalte sind aber ohne Weiteres für die österreichische Lehrausbildung als ABI übertragbar und ich vermute, dass es in der Schweiz vom Inhaltlichen her nicht viel anders aussehen wird.

Das Buch ist 2004 zum ersten Mal erschienen und wurde seither mehrfach nachgedruckt. Die Nachfrage ist groß, da es nicht allein für FaMIs interessant ist, sondern darüber hinaus auch nützlich für ArchivarInnen des gehobenen und höheren Dienstes, Studierende der Geschichtswissenschaft oder Archivinteressierte. Es eignet sich außerdem hervorragend für NeueinsteigerInnen auf diesem Gebiet.

Es handelt sich hierbei um ein solides Hardcover-Buch, was heutzutage ohnehin schon eine Seltenheit ist. Bei genauerer Betrachtung stelle ich eine verhältnissmäßig gute Klebebindung fest, versteckt hinter einem „traditionellen“ Kapitalband. Die Coveroberfläche fühlt sich an wie Kunststoff, was eine gewisse Langlebigkeit vermuten lässt und die Papierseiten sind nicht so dünn, wie man sie von anderen Fachbüchern kennt. Alles in allem eine qualitativ hochwertige Beschaffenheit, welche um ca. EUR 30.- zu haben ist.

Zu Beginn eines jeden Kapitels werden die Unterkapitel aufgelistet und an den jeweiligen Seitenrändern gibt es zusammenfassende Schlagworte, was einen besseren Überblick gewährt. Zahlreiche Abbildungen, graphische Darstellungen und authentische Beispiele sowie Formularmuster geben dem Lehrbuch noch mehr Praxischarakter.

Die Kapitel gliedern sich wie folgt:

  • Einführung mit Berufsbild und „Grundfragen“ bzw. Grundlagen des Archivwesens
  • Archivarische Tätigkeiten (Schriftgutverwaltung, Bewertung, Übernahme, Erschließung, Archivtechnik, neue Informationstechnologien, Benutzung und Öffentlichkeitsarbeit) mit praxisorientierten Beispielen
  • Hilfswissenschaften und Geschichte (Quellenkunde, Entwicklung der Schrift, Verwaltungsgeschichte in Nordrhein-Westfalen)
  • Anhang mit Glossar zu Archivbegriffen, Literatur- und Linkverzeichnis, Sachindex, Muster für u.a. Benutzungsordnungen, Archivgesetz(e), Kodex ethischer Grundsätze für ArchivarInnen und die weltweite allgemeine Erklärung über Archive

Die sich im Berufsalltag immer wieder stellenden Fragen nach dem „Wie?“, können meiner Meinung nach mit Unterstützung dieses Buches beantwortet werden: Wie bewerte ich Schriftgut? Wie ordne ich meinen Bestand am besten? Wie verzeichne ich Archivgut? Wie erstelle ich einen Aktenplan? Wie finde ich eine für mein Archiv geeignete Verwaltungssoftware?

Die „Praktische Archivkunde“ ist gut leserlich und vor allem gut verständlich geschrieben, die einzelnen AutorInnen kommen rasch zum „springenden Punkt“. Ausgewiesene Übersichtstafeln erleichtern das Lernen. Ich muss hier zurückdenken an zum Beispiel „Die archivalischen Quellen“ von Beck/Henning (1994/2012), wo es mir bis heute schwer fällt, aufgrund der komplizierten, ausweichenden Schreibweise, einzelne Kapitel konzentriert zu lesen.

Standard- bzw. Lehrlektüre ist in der Archivwissenschaft eher überschaubar vorhanden und so wird meist auf die „Einführung in die Archivkunde“ von Franz Eckhart (1974/2018) zurückgegriffen, welche mitlerweile in der 9. Auflage publiziert wurde. Der „Eckhart“ ist kurz und bietet – wie beschrieben – eine Einführung, wobei ich mir die überarbeitete Auflage noch nicht angesehen habe.

Laut Barbara Müller-Heiden, welche die vorliegende „Praktische Archivkunde“ speziell für den Einsatz in der Berufsschule rezensiert hat, ist seitens Dritter eine darauf basierende Unterrichtsmappe mit Arbeitsblättern in Vorbereitung.

Meine Empfehlung an die Berufschulen und Lehrkörper lautet hier, nicht nur den „Hacker“ vorzulegen, sondern nach Möglichkeit auch den „Reimann“ in Klassenstärke zu erwerben, denn das Archivwesen kommt im Ausbildungscurriculum – meiner Meinung nach – oftmals ein wenig zu kurz. Die „Praktische Archivkunde“ wäre auf jeden Fall eine Bereicherung für alle ausbildenden Archive, Bibliotheken, Informations- und Dokumentationsstellen, aber vor allem für Lehrlinge in diesem Berufsfeld und deren Ausbilder!

„Praktische Archivkunde“ macht auf jeden Fall Lust auf mehr und so kann ich nur hoffen, dass es solche fachbezogenen Leitfäden oder Lehrbücher speziell für ABIs oder vergleichbare Berufssparten zukünftig auch hier in Österreich geben wird.

 

Praktische Archivkunde : ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste - Fachrichtung Archiv
384 Seiten Hardcover, Ill., graph. Darst., Literaturverz., Linksammlung
3. aktualisierte Aufl., 2014 
Verlag: Ardey, Münster
ISBN 978-3-87023-366-2
EUR 30,80 (AUT); EUR 29,90 (DE)

 

Bildquelle Beitragsbild: https://www.ardey-verlag.de/shop/programm/archivwesen/praktische-archivkunde, Stand vom 16.07.2018

 

Weitere Infos:

Rezension von Barbara Müller-Heiden, 2004

Rezension von Johannes Grützmacher, 2005

Rezension Nr. 1 von Max Plassmann, [2010]

Rezension Nr. 2 von Max Plassmann, o.J.